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Zirkuläres Bauen: Herausforderungen und Lösungen
Den unteren beiden Geschossen des CRCLR House in Berlin-Neukölln ist ihre Geschichte als Lagerhalle dank der massiven Backsteinwände noch anzusehen. Lediglich der weiß verputzte aufgestockte Teil lässt erahnen, dass dieses Gebäude heute nicht mehr als Teil einer Brauerei genutzt wird. Stattdessen dient er momentan als Co-Working Space. Die Architektinnen des Büros LXSY folgten bei dem Umbau der Prämisse, so viel Substanz wie möglich zu erhalten. Alle neu hinzugefügten Materialien müssen recycelbar sein und damit den Bedingungen der Kreislaufwirtschaft genügen, also sortenrein trenn- und nachnutzbar sein. Viele Materialien haben bereits ein Vorleben.
Entweder stammen sie aus dem ehemaligen Büro der Bauherren oder wurden von den Gründerinnen von LXSY, Kim Le Roux und Margit Sichrovsky, über Abrissbaustellen oder Plattformen wie Ebay organisiert. Beide zeigen mit ihrem Projekt, dass zirkuläres Bauen im Bestand möglich ist. Ihr Wissen geben sie auch in Seminaren an Kolleginnen und Kollegen weiter.
Wiederverwertung von Baustoffen
In Berlin wird die Kreislaufwirtschaft am Bau durch die Stadtverwaltung gefördert. Im Zusammenhang mit seiner Zero Waste-Strategie, die das Abfallaufkommen bis 2030 deutlich verringern und die Bevölkerung für nachhaltigen Konsum sensibilisieren will, hat die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt im Juli einen neuen Leitfaden veröffentlicht. Er soll helfen, der vor Beginn einer Rückbaumaßnahme alle Abbruchmaterialien zu erfassen und deren mögliche Weiternutzung, Verwertung oder Entsorgung aufzuzeigen.
Mehrere Verwaltungsvorschriften legen außerdem fest, dass öffentliche Auftraggeber ökologische Kriterien in Vergabeverfahren berücksichtigen müssen. Ein Aspekt kann das Bauen mit Holz als nachwachsendem Rohstoff sein, ein anderer das Bauen mit RC-Beton, also Beton mit reziklierten Zuschlagstoffen.
EU-Taxonomie-Verordnung
Doch nicht nur auf Lands-, auch auf EU-Ebene rückt der Klimaschutz in den Fokus. So legt die EU Taxonomieverordnung fest, welche Wirtschaftsaktivitäten sich als grün bezeichnen dürfen, weil sie einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Umweltziele leisten, ohne andere erheblich zu beeinträchtigen. Im Bau- und Immobiliensektor sind davon Neubau, Erwerb und Renovierung betroffen.
Laut der Climate Positive Europe Alliance (CPEA) haben Planende einen entscheidenden Einfluss auf die Taxonomiekonformität von Bauten. Sie erfüllen zudem eine wichtige Aufgabe bei der Dokumentation verbauter Materialien, was wiederum für die Rückführung von Baustoffen in den Wertstoffkreislauf entscheidend ist. In Zukunft wird die Nachfrage nach Taxonomie konformen Bauten steigen, prognostiziert die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen.
Hindernisse beim nachhaltigen Bauen
Während einige Regelungen und Gesetze die Kreislaufwirtschaft beim Bauen voranbringen sollen, werden entsprechende Bemühungen an anderer Stelle ausgebremst. Regelungen zum Brandschutz beispielsweise behindern die Umwandlung von Bestandsgebäuden wie Büros oder Einkaufszentren zu Wohnungen. Die Architektenkammer Berlin drängt aus diesem Grund auf eine novellierte Bauordnung, die das Bauen im Bestand erleichtert und hat diesem Thema auch den Tag der Architektur 2024 gewidmet. Ein weiterer Hemmschuh sind die strengen Zulassungsverfahren bei neuen, umweltschonenden Baumaterialien. Bis zur Markteinführung vielversprechender Technologien vergehen oft Jahre.
Digitale Geschäftsmodelle für gebrauchte Baustoffe
Bei der Frage, wie gebrauchte Baumaterialien den Weg zu neuen Abnehmern findet, gibt die Digitalisierung Antworten. Das Hamburger Unternehmen Recourcify zum Beispiel bringt mit einer von ihm entwickelten Software-Abfallverursacher, Entsorger und Verwerter zusammen. Durch digitale Analysen lassen sich Kosten senken und die Abfallwirtschaft effizienter gestalten. Innovative Unternehmen der Branche arbeiten bereits daran, mehr wiederverwendete Baustoffe in Gebäude zu bringen.
Im Rahmen des von der Stiftung Klimawirtschaft, WWF und dem Wuppertal Institut initiierten CEWI Projekts entwickelten Fachleute einen digitalen Simulator. Er erleichtert Planenden, Sekundärbaustoffe zu nutzen. Gebrauchte Bauteile und Komponenten lassen sich mit dem Tool in die Planung integrieren. Nach dem Ansatz „form follows resource availability“ richtet sich das Design des Gebäudes nach den verfügbaren Baumaterialien.
Wer sich auf der Website von Concular umschaut, findet dort Fahrradständer, Akustikpaneele, aber auch komplette Industriehallen. Das Unternehmen begleitet den Rückbau ganzer Hochhäuser und gibt Bauherren die Möglichkeit, Bauteile zu erwerben, die zu gut zum Wegschmeißen sind. So hat Concular zum Beispiel die einen Großteil der ikonischen Inneneinrichtung der Bibliothek der Technischen Universität Dortmund weitervermittelt, die einem Neubau weichen musste. Für ein Büroprojekt in Münster konnte Concular 95,6 Prozent der benötigten Möbel und Materialien zirkulär beschaffen. Ansätze wie diese zeigen, wie das nachhaltige Bauen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft vorangebracht werden kann.
Auf der belektro widmet sich die Veranstaltung „Lust auf Licht und zirkuläres Bauen“ von German Architects und der Architektenkammer Berlin am 5. November 2024 von 12.45 Uhr bis 16.30 Uhr dem Klimaschutz im Bauwesen. In den Vorträgen geht es unter anderem um den Beitrag, den die Lichtplanung zur Nachhaltigkeit eines Gebäudes leisten kann.